Seit einiger Zeit sind Masken in unserem Alltag allgegenwärtig – auch in der Schule. Grund genug für das Wahlpflichtfach Kulturwissenschaften in Jahrgang 9, sich genauer mit dem Thema „Maske“ zu beschäftigen. Im Vordergrund standen dabei die unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Funktionen von Masken früher und heute. Teil des Unterrichts war auch eine Schreibwerkstatt: Nach verschiedenen kreativen Schreibübungen bestand die Aufgabe des Kurses darin, eine Kurzgeschichte zu schreiben, die sich – im herkömmlichen oder im übertragenen Sinne – mit der Maske auseinandersetzt.

Grimm

Textbeispiele:


Amanda N.: Mut ist der Schlüssel

Nele T.: Sinkende Masken

Sophie K.: Das Gesicht hinter der Maske

Luna L.: Die Hochzeit



Amanda N.: Mut ist der Schlüssel

Ich gehe nochmal meinen Text durch. Wir haben die Szene heute schon acht Mal durchgespielt. Jetzt muss es einfach klappen, sonst ist Paul, der Filmmacher, mit seinen Nerven am Ende. Nebenan sitzt Marie. Sie wird nochmal nachgeschminkt, wobei sie das eigentlich gar nicht nötig hätte. Sie sieht auch ohne Schminke umwerfend aus. „Kommst du, Noah? Die Pause ist um,“ sagt jemand, den ich nicht kenne. Es muss jemand von der Tontechnik sein, er trägt nämlich Kopfhörer. Ich folge ihm in den Proberaum. Marie ist auch schon da und steht wie immer vor dem Schreibtisch. Ich setze mich an einen leeren Tisch daneben. „Marie, dreh dich bitte noch etwas nach rechts,“ befiehlt Paul von seinem Stuhl aus. „Und Noah, bitte konzentriere dich diesmal!“, sagt er dann zu mir gewandt mit strenger Stimme. Ich versuch es ja, will ich sagen. Schaue dann aber zu Marie. Ihre zu Locken gedrehten blonden Haare glänzen im Licht golden, und ihr Lächeln ist bezaubernd. Sie sieht aus wie eine Elfe. Alles an ihr ist einfach perfekt. Ich muss seufzen.

„So, dann der neunte Durchlauf. Und...Action!“, sagt Paul laut. Stille breitet sich aus, dann geht Marie vom Schreibtisch zu dem Schrank dahinter. Sie holt einen Ordner heraus und sagt dann: „Wieso hast du mir das nicht erzählt? Vertraust du mir nicht?“ Sie blättert eine Seite um. „Ich vertraue dir. Das habe ich schon immer gemacht,“ spricht sie weiter. Jetzt schaut sie mich an. Ich kann es zwar nicht sehen, weil ich auf den Boden gucke, aber ich weiß es. Außerdem steht es so im Drehbuch. Als ich schweige, sagt sie gereizt und gleichzeitig besorgt: „Rede mit mir Luis!“ ich zucke zusammen. So steht es zwar auch geschrieben, aber sie macht das so gut, dass ich immer das Gefühl habe, persönlich angesprochen zu werden. „Ich ähm…“, stottere ich. „Es ist kompliziert.“ Jetzt legt sie den Ordner zu Seite und lässt sich seufzend auf den Stuhl fallen. „Hör zu Ella, ich wollte dich damit nicht belasten,“ sage ich dann weiter.

„Und ich will dich nicht verlieren. Ich brauche dich als guten Freund und…,“ sie kann ihren Satz nicht mehr beenden. Wir beide schauen zur Tür, die von einer Frau geöffnet wird. Sie streckt nur ihren Kopf ins Zimmer und sagt schnell: „Ella, du wirst im Hauptraum erwartet.“ Durch ein Nicken von Marie verschwindet die Frau wieder. „Ich muss dann gehen,“ sagt Marie, steht auf und stellt den Ordner zurück an seinen Platz. Ich schaue wieder auf den Boden. Als sie die Tür schon fast erreicht hat, nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und sage: „Warte!“ Sie dreht sich um. Ich stehe auf und schaue ihr tief in die Augen. Sie schaut erwartungsvoll zurück. So steht es im Drehbuch. „Ich ähm...ich liebe dich, Marie.“ Mein Herz pocht so rasend schnell, dass ich Angst habe, ich könnte gleich umfallen. Hinter der Kamera höre ich wütendes Schnauben. Das ist Paul. Er steht auf und sagt wütend zu mir: „Sie heißt Ella! Du redest mit Ella, nicht mit Marie!“ Nein, das habe ich zu Marie gesagt, denke ich. Jetzt merke ich, wie ich rot werde. Ich habe es schon wieder vermasselt. Aber jetzt ist es endlich raus, jetzt weiß sie es endlich. Sie kommt auf mich zu und nimmt meine Hand. Ich schaue zu ihr hoch und sie lächelt mich mit ihrem bezaubernden Lächeln an. Ich strahle sie lächelnd zurück an, weil sie nämlich auch ein bisschen rot geworden ist, das kann ich sogar durch die viele Schminke erkennen.



Nele T.: Sinkende Masken

Ich sah die Passagiere einsteigen. Jeden Einzelnen sah ich mir genau an. Zuerst achtete ich auf ihre Schuhe. Das Wetter war windig und kalt, so trugen sie Stiefel. Ihre Hosen waren aus Jeansstoff oder sie trugen schmutzige Arbeitshosen. Eine Frau hatte eine lockere weinrote Hose an, deren Enden im Wind zitterten. Sie alle hatten Jacken an, um sich vor Regen zu schützen. Den Reißverschluss bis nach oben gezogen, die Knöpfe allesamt zugeknöpft. Ihre Haare bewegten sich im Takt des Windes, wie die Wellen des Meeres unter ihnen. Als letztes schaute ich in ihre Augen. Braune, grüne, blaue – alle erzählten eine eigene Geschichte. Und da versetzte es mir einen Stich, wie jedes Mal, sobald ich wusste, welches Leben die Welt heute verlassen würde. Und so würde ich, wie bei jedem Leben, ihnen die schönste letzte Stunde schenken, die sie verdient haben.

Es wurde Zeit aufzubrechen. Die Sonne näherte sich nun dem Horizont und warf glitzernde Sprenkel von Licht auf die Meeresoberfläche. Ich begrüßte alle meine Gäste herzlich und sie schauten mich aus freundlichen, nichtwissenden Augen an. Dann entfernte sich das Schiff vom Ufer, die Berge wurden kleiner und die orangefarbene Sonne immer größer. Eine Familie mit zwei Kindern schaute über die Reling, andere unterhielten sich lachend. Auf einmal kam eine junge Frau auf mich zu. Sie nickte mir zu, ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen, welches man auch in ihren Augen wiederfinden konnte. „Wie finden Sie den Sonnenuntergang, Sir?“ Ich war überrascht, dass sie mir so eine Frage stellte. Meistens durchschaue ich die Menschen schnell. Wie sie reagieren, wenn sie begreifen, dass es kein Zurück mehr gibt. Wie sie weinend flehen und es am Ende stumm akzeptieren. Ich liebe alle Menschen, doch ich bin nicht so wie sie, ich kann nicht so fühlen oder denken, wie sie es tun. Ich bin unendlich.

„Er lässt mich lebendig fühlen“, antwortete ich der Frau ehrlich. Sie nickte wieder und lehnte sich gegen das Holz. Die Sonne war nun nur noch wenige Zentimeter vom Horizont entfernt. Das Wasser glitzerte wie Kristalle und das Rauschen der Wellen lag einem in den Ohren. Ich spürte die Kälte nicht, doch ich wusste, sie war da. Die Frau neben mir zitterte. „Wie lange sind sie schon Kapitän?“ Ich schüttelte den Kopf. „Schon immer. Aber ich bin nicht nur das.“ Sie zog die Augenbrauen zusammen, als würde sie verkrampft versuchen, etwas ganz Schwieriges zu verstehen. „Meinen Sie, Sie haben noch weitere Berufe? Wie haben Sie die Zeit dazu?“ Ich seufzte. Kein Mensch würde es verstehen. „Sagen wir, mein Beruf ist es, Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung, die sonst niemand übernehmen wollen würde.“ Sie nickte verstehend. „Also sind Sie Richter? Entscheiden über Recht und Unrecht? Das wäre etwas, was ich nie machen könnte.“

Ich nahm an, dieses Gespräch würde im Nichts enden. Das Schicksal, welches sie selbst noch nicht kannte, war schon bestimmt, wie es von jedem bestimmt wurde. So gesehen war ich tatsächlich ein Richter. „Wie alt sind sie, wenn ich fragen darf? Wenn sie Richter und Seefahrer sind, müssen sie schon eine Menge erlebt haben…“ Sie betonte das „und“. Mir wurde klar, dass diese Frau seltsam war. Es war die Art, wie sie die Dinge auffasste und hinnahm. Doch meist sind es diejenigen, die die versteckten Dinge als erstes wahrnehmen. In ihren Augen sah ich die Sonne sachte das Wasser berühren, kurz davor, das Licht ertrinken zu lassen und der Dunkelheit die Macht zu übergeben.

„Ich bin älter als ich aussehe. Warum wollen sie das wissen, Lady?“, erwiderte ich und ein Windstoß, zusammen mit einer kräftigen Welle, ließ das Schiff schwanken. Der Frau wehten die Haare ins Gesicht, sie strich sie nicht zurück, ließ die Wildheit der Natur zu. Die Zeit verstrich langsam. Die Sonne war beinahe zur Hälfte im Meer versunken, als die Frau mich wieder anblickte. Auf ihren offenen Lippen warteten Worte, doch sie fanden nicht hinaus. Es gab kein Zurück mehr. Und sie wusste es. Sie spürte meine Anwesenheit, welche die Dunkelheit frei ließ, damit sie sich auf dem Schiff niederlassen konnte. Nur noch wenige Minuten. Der Himmel wurde von einem dunklen Blaugrau getränkt und die Luft war feucht. Es fing an zu regnen und der Wind nahm zu.

Eines musste ich den Menschen lassen: Sie konnten mich immer wieder überraschen. Ihre Augen verrieten mir Geschichten, die Art, wie sie sich verhielten, zeigte mir ihre Gedanken, ihre Gefühle waren ein Rätsel. Das Einzige, was ich ihnen erzählen konnte, war ihr Ende.

Dieses Mal erzählte ich von einem Sturm. Er traf das Schiff unerwartet und der Wind riss es zur Seite. Immer größere Mengen an Wasser strömten über Bord. Die Menschen wichen davor zurück wie vor einer Seuche. Doch schon längst war ihnen bewusst, dass ihr Schicksal bereits bestimmt war. Und die Menschen hatten Angst. Die Kinder weinten. Jung und Alt schauten zu mir hinüber, ihre Augen fragten: „Warum ich?“

„Wie kannst du nur?“, flüsterte die Frau neben mir. Ihre Stimme war verbittert und rau. „Du lässt es einfach zu. Warum?“ Ich seufzte. Menschen fragten oft etwas, worauf es keine richtige Antwort gab. Sie wollten nur, dass man ihnen das sagte, was sie hören wollten. „Manchmal ist das Leben nicht fair.“ Das Schiff gab den Widerstand auf, das Licht des Tages schwand und mit ihm so manches Leben. Kein Kapitän war an Bord, es war nie einer da gewesen. Hier herrschte der Tod. Er hatte seine Maske abgelegt und betrachtete bedauernd, wie das Licht erlosch. Die Frau klammerte sich an der Reling fest, bis zum Bauch im Wasser stehend. Sie blickte mich aus dunklen Augen direkt an, durchbohrte mich mit ihrem Blick, wie es selten ein Mensch tat. „Es ist nicht das Leben, das manchmal unfair ist. Du bist es.“ Dann ließ sie den Tod mit der Nacht alleine.



Sophie K.: Das Gesicht hinter der Maske

„Na los Frida, schreib dich in die Liste ein. Wenn du es nicht machst, tu ich es“, rief meine beste Freundin Johanna mir zu. „Ich weiß nicht, ich glaube das ist nichts für mich“, erwiderte ich. „Ich bin einfach nicht für die Bühne geschaffen. Ich stehe eben nicht gerne im Rampenlicht.“ Es stand für mich auf keinen Fall zur Debatte, dass ich im Theaterstück mitspielen würde. Und dann auch noch in der Hauptrolle? Unvorstellbar. Was würde sich wohl das Publikum denken, wenn sie mich auf der Bühne sehen würden? Sie würden Tomaten nach mir werfen. Oder noch viel schlimmer, mich auslachen. Darüber musste ich mir allerdings keine Sorgen machen, da ich mit großer Sicherheit nicht für das Theaterstück infrage kam. Ich meine: ich? Das Mädchen, dass nicht einmal Smalltalk halten konnte? Johanna ließ meine Gedankenblase platzen: „Na komm schon, ich muss nach Hause. Morgen ist auch noch ein Tag. Du kannst in Ruhe Zuhause darüber nachdenken.“

Wir schlenderten den Schulgang entlang, als Herr Schredder mich von der Seite ansprach: „Einen wunderschönen guten Tag, Frida. Kann ich dich kurz sprechen?“ Verwundert blickte ich ihn an und machte Johanna Handzeichen, dass sie schon vorgehen sollte. Also trat ich zur Seite. „Ich hatte gedacht, du könntest vielleicht im Stück die Hauptrolle spielen. Ich glaube, in dir steckt viel mehr als dieses zurückhaltende Mädchen.“ Ich verschluckte mich an meinem Wasser, dass ich so eben versucht hatte zu trinken. „Das ist ja sehr nett von Ihnen“, unterbrach ich ihn, „aber ich glaube, ich bin nicht für eine Hauptrolle geschaffen.“ „Ich kann dich natürlich nicht dazu zwingen, aber ich würde mich freuen, wenn du noch einmal in Ruhe darüber nachdenken würdest. Vielleicht möchtest du ja auch mal bei den Proben vorbeischauen.“ Ich nickte und ging rasch an ihm vorbei. Draußen wartete Johanna bereits auf mich. Während des Heimwegs gingen mir die Worte von Herrn Schredder nicht aus dem Kopf. Ob ich mir vielleicht wirklich nur einen Stoß geben sollte? Sollte ich einfach bei der nächsten Probe vorbeischauen und wer weiß, vielleicht machte es mir doch sehr viel Spaß? Entschlossen und mit hoch erhobenem Kinn stolzierte ich den Rest des Weges mit Johanna an meiner Seite nach Hause.

Als ich am nächsten Morgen die Tür zur Aula öffnete, waren alle Augen auf mich gerichtet. „Tut mir leid, ich bin ein bisschen zu spät“, entschuldigte ich mich. Ich schloss leise die Tür hinter mir, weil ich auf keinen Fall noch mehr Aufmerksamkeit erregen wollte. Unbeholfen stand ich im Saal und schaute den anderen zu. Ob es wohl eine gute Idee gewesen war, hierher zu kommen? Herr Schredder kam nun auf mich zu. „Schön, dass du es doch noch geschafft hast. Möchtest du vielleicht bei einer unserer Szenen mitmachen? Wir haben noch einen Platz frei.“ Ich zögerte. Eigentlich hätte ich auf die Bühne stolzieren und sagen sollen: „Hier bin ich!“ Stattdessen antwortete ich: „Ich weiß nicht so recht. Ich glaube, ich schaue erst mal nur zu.“ Ich begab mich zu den freien Plätzen, wo ich mich zunächst im Hintergrund hielt. Aufmerksam schaute ich den Darstellern zu. Ich bemerkte, wie Herr Schredder immer wieder zu mir schaute. Ich versuchte, seinen Blicken auszuweichen und mich ganz allein auf das Theaterstück zu konzentrieren. Mit jeder einzelnen Bewegung der Schauspieler wurde deutlich, was das Stück für eine Geschichte erzählte. Als Elizabeth, die Hauptfigur, zu Boden sank, war ich ergriffen. Es sah so überzeugend aus. Als Herr Schredder zur Bühne stürmte, wusste ich, dass das nicht zum Theaterstück gehörte. Wie erstarrt beobachtete ich das Geschehen. Wie die Sanitäter in den Saal hineinstürmten und versuchten, sie zu reanimieren. Ein Kreis von Mitschülern versammelte sich um sie herum. Und, Eva, die die Hauptrolle verkörperte, lag im Mittelpunkt.

Eine Woche später fand wieder Theaterunterricht statt. Und wieder einmal kam ich zu spät und schloss ganz leise die Tür hinter mir. Ich sah Eva in einer der hinteren Reihen sitzen. Es musste ihr also schon besser gehen seit dem Vorfall letzter Woche. Herr Schredder kam auf mich zugestürmt. „Frida, Gott sei Dank, dass du hier bist!“ Ehe ich mich setzen konnte, schob er mich schon auf die Bühne. „So…“, fuhr er fort. „Du bist jetzt die neue Elizabeth. Wir finden keinen Ersatz und ohne die Hauptfigur kann man wohl kaum auftreten.“ Obwohl sich alles in mir gegen diese Aufforderung wehrte, ging ich wie in Trance auf die Bühne. Das ist vielleicht der Stoß, den ich brauchte, dachte ich. Ich nahm also meinen ganzen Mut zusammen und fügte mich meinem Schicksaal. Nun war der passende Augenblick gekommen. Ich hätte nie gedacht, dass es diesen überhaupt gab. Ich schüttelte alle meine Sorgen ab und war bereit, mich auf etwas Neues einzulassen. In den nächsten Tagen lernte ich meinen Text auswendig. Mit der Zeit fühlte ich mich immer wohler auf der Bühne. Wir probten bis in den späten Nachmittag und nutzten jede freie Minute, um unsere Darstellung zu perfektionieren.

Die Tage verstrichen und der Tag der Aufführung kam immer näher. Bis ich da stand. Hinter der Bühne mit der Porzellanmaske in der Hand. Ich hatte solch ein Lampenfieber. „Ich schaffe das, na los, krieg dich wieder ein“, redete ich mir immer wieder zu. Als ich durch den Vorhang spähte, bekam ich einen Schreck. Oh Gott, wie viele Menschen dort saßen. Nun konnte ich keinen Rückzieher mehr machen. Ich wollte aber auch nicht auf die Bühne. Jetzt war mein Einsatz gekommen. Als Johanna bemerkte, dass ich mich nicht vom Fleck rührte, drehte sie mich zu ihr und sagte: „Na los, zeig den Leuten, was du draufhast.“ Mit einem Stoß landete ich auf der Bühne. Unbeholfen schaute ich in die Dunkelheit, in der Hoffnung etwas zu finden. Doch da war nichts außer Dunkelheit. Langsam nahm ich die Porzellanmaske vor mein Gesicht und spielte. Die Geschichte der Elizabeth, die nie ihre Maske abnahm. Nun sprach ich meinen Text und bemerkte, ich spielte nicht die Rolle der Elizabeth, sondern meine. Immer wieder wartete ich auf meinen Einsatz, um auf der Bühne mein Bestes zu geben. Es machte mir viel mehr Spaß, als ich mir jemals vorgestellt hatte. Als ich das letzte Mal zum Einsatz gerufen wurde, rannte ich abermals mit der Porzellanmaske vor meinem Gesicht auf die Bühne. Meine Stimme füllte den Saal. „Nun seht, was sich hinter dieser Maske verbirgt.“ Die Porzellanmaske fiel zu Boden und zersplitterte in Tausende Teile. Das Gesicht, dass sich jahrelang hinter dieser Maske verbarg, trat nun zum Vorschein. Das Publikum sprang auf, jubelte und pfiff. Ich genoss meinen Applaus und war noch nie so stolz auf mich gewesen, wie in diesem Moment.



Luna L.: Die Hochzeit

„So, jetzt siehst du perfekt aus!“, sagte sie zu mir. Aber ich kam mir immer noch nicht perfekt vor. „Das wird schon gut werden“, dachte ich. „Ich werde auf jeden Fall ‚Ja‘ sagen, das wusste ich jetzt schon. „Danke“, antwortete ich schnell, weil sie mich so komisch ansah.

Wilhelm und ich hatten uns gemeinsam etwas ganz Lustiges ausgedacht. Die Gäste sollten zu unserer Hochzeit alle mit Masken kommen. Wir kamen darauf, da wir am Anfang gegenseitig sehr schüchtern waren. Ich hatte mir eine ziemlich helle Maske ausgesucht mit schmalen Augenbrauen. Dazu einen weißen Hut und ein grünes Kleid. An dem Kleid steckten weiße Blumen. Jetzt wurde ich immer aufgeregter. Ob es Wilhelm auch so ging?

„Können wir, Marianne? Die Gäste warten schon draußen“, drängte mich meine Schwester. „Ist ja gut, ich komme gleich“, antwortete ich. Jetzt oder nie. Also lief ich zu meiner Schwester. Sie kontrollierte noch einmal, ob alles saß und dann gingen wir hinaus. Mein Vater stand schon vor der großen weißen Tür und wartete geduldig auf mich. Meine Schwester ging in den Saal und setzte sich hin. Ich hakte mich bei meinem Vater unter und wir betraten den großen Saal. Es waren viele Leute gekommen, fast alle hatten zugesagt. Die Musik ertönte, die Gäste standen auf und wir schritten langsam in Richtung Altar. Wilhelm kam mir in dem Moment auf irgendeine Weise anders vor als sonst. Er war schmaler geworden. Das lag bestimmt an der Maske. Er trug einen orangefarbenen Mantel und einen schwarzen Zylinder.

Die Musik wurde wieder leiser und ich stellte mich neben Wilhelm. Der Pastor fing an zu reden. Anschließend stellte er die entscheidende Frage: „Willst du, Marianne Forster, Wilhelm Arend zu deinem Ehemann nehmen?“ „Ja, ich will!“, antwortete ich laut, aber auch schüchtern. „Und willst du, Wilhelm Arend, Marianne Forster zu deiner Ehefrau nehmen?“, fragte der Pastor anschließend Wilhelm. „Ja, ich will!“, antwortete er. Seine Stimme klang ein bisschen tiefer als sonst. Ob es die Aufregung war? „Hiermit seid ihr Ehefrau und Ehemann“, sagte der Pastor freundlich. Alle Gäste klatschten fleißig in die Hände und wir küssten uns. Im Nachhinein feierten wir noch ein bisschen und dann fuhren wir mit einem Auto in ein Hotel. „Wie fandest du die Hochzeit, Wilhelm?“, fragte ich ihn während der Fahrt. Heute war er nicht so gesprächig wie sonst. „Wunderschön, mein Engel,“ sagte er schon wieder so tief. Ich traute mich jedoch nicht nachzufragen, wieso er auf einmal so tief sprach. Angekommen am Hotel gingen wir direkt auf unser Zimmer, es war nämlich schon sehr spät. Oben angekommen schloss Wilhelm die Tür ab. Ich dachte mir dabei weiter nichts und ging ins Bad. Als ich wieder herauskam, stand plötzlich ein wildfremder Mann in dem Raum. „Na, Marianne? War es eine schöne Hochzeit mit mir?“, fragte er mit einer tiefen Stimme. Ich war überfordert. Ich hatte ihn geküsst? Mit ihm stand ich vor dem Altar? Mit diesem fremden Mann hatte ich getanzt? Den habe ich geheiratet? „Wo ist Wilhelm?“, stotterte ich. „Wilhelm?“, fragte er und kam einen Schritt näher. „Wo ist Wilhelm?“, schrie ich ihn an. So kannte ich mich selbst nicht. Aber ich liebte Wilhelm und wollte mein Leben mit ihm verbringen. Nicht, dass der fremde Mann ihm etwas getan hatte. „Langsam, langsam. Dein Wilhelm ist an einem sicheren Ort,“ sagte er ruhig und kam noch einen Schritt näher. Jetzt hatte ich Angst. Er kam näher und näher.